Zustand

Im September 1946 sprach ein Pomaken-Vertreter in Griechenland von der Bedrückung der Muslime in Bulgarien, und es wurden pomakische Diversantengruppen außerhalb des Landes ausgebildet. 1947 und 1948 gab es mehrere Scharmützel und Verletzungen der bulgarischen Grenzen seitens Griechenlands und der Türkei. Am 11. Oktober 1947 drang ein türkisches Flugzeug in den bulgarischen Luftraum oberhalb der Grenzstadt Malko Tărnovo ein, am 15. und 16. Oktober wurde einen Grenzposten im Gebiet von Svilengrad angegriffen, und als schließlich am 9. Februar 1948 zwei türkische Militärflugzeuge über Sozopol neben Burgas abgeschossen wurden, erreichte die Spannung zwischen beider Ländern einen kritischen Punkt. Am 13. März 1948 verlangten die bulgarischen Machthaber die Abberufung des türkischen Militärattachés und seines Adjutanten wegen Spionage, worauf Ankara mit der Schließung dieses diplomatischen Postens antwortete und seinerseits den bulgarischen Militärattaché auswies. Gleichzeitig wurde die antibulgarische Kampagne der türkischen Massenmedien fortgeführt. Am 31. März 1948 behauptete z. B. die Zeitung „Yeni Sabah“, die sich auf bulgarische Aussiedler berief, dass die Türken im Lande Verfolgungen ausgesetzt seien, weil ihnen ein fremder Glaube aufgezwungen und die Namen geändert werden, außerdem sei eine Gruppe von Jugendlichen, die mit den Flüchtlingen gemeinsam unterwegs war, mit Beilen totgeschlagen worden. Die Nachricht rief heftige Entgegnungen und Proteste von bulgarischer Seite hervor. Heute läßt sich kaum etwas über den Hintergrund dieser Zeitungsnotiz in Erfahrung bringen, auf jeden Fall ist die Behauptung von einer Namensänderung zu dieser Zeit höchst verblüffend, jedenfalls ist sie ein Nachweis, wie die Einstellung der türkischen Öffentlichkeit zu den politischen Veränderungen in Bulgarien war. Auch dies übte einen bestimmten Einfluß auf die Stimmung unter den Muslimen aus, deren Wunsch nach Auswanderung in die Türkei noch 1948 wuchs. Die kommunistische Führung hatte dies lange Zeit allein der „Propaganda aus Ankara“ zugeschrieben. Am 4. Jänner 1948 jedoch kam das Zentralkomitee (ZK) der Bulgarischen Kommunistischen Partei [Bălgarska Komunističeska Partija, BKP] zu dem Schluß, daß die türkische Minderheit ein unproduktives und potentiell unsicheres Element darstelle, dessen sich das Land zum Teil „entledigen“ müsse. Auf dieser Sitzung drängte Georgi Dimitrov auf eine Lösung des Problems bis zum Ende des Jahres. Die „nichtbulgarische Bevölkerung“, die er als „ein Geschwür für unsere Gesellschaft“ bezeichnete, sollte von der südlichen Grenze Bulgariens entfernt und in eine andere Region umgesiedelt werden. Und später hegte auch Dobri Terpešev seine Zweifel, ob sich die türkische Minderheit überhaupt jemals dem Volk der Bulgaren anschließen könne, weswegen er die ganze Angelegenheit auf die Frage reduzierte, wann und wie die Türken auswandern sollten, durch wen sie zu ersetzen seien und welche weitere Veränderungen in den entsprechenden Gebieten durchzuführen seien.
          Die Ereignisse des Jahres 1948 verzögerten eine endgültige Beschlußfassung. Der Bruch Titos mit Moskau führte unter anderem auch dazu, daß Stalin jegliches Interesse an der Idee einer Balkanföderation verlor, die als ein mögliches Mittel für das sowjetische Eindringen in Jugoslawien hätte dienen können. Dies spiegelte sich in der weiteren Entwicklung Bulgariens, wo mit dem Ende des „volksdemokratischen“ Experiments der Übergang zum sowjetischen politischen System forciert wurde. Diese Wende des Jahres 1948 beeinflußte auch die Lage der türkischen Minderheit. Die Verschlechterung der bulgarisch-jugoslawischen Beziehungen führte zu Einschränkungen in ihrem Status, und die immer stärker werdende Einmischung des Staates in fast alle Lebensbereiche heizte die Atmosphäre der Feindseligkeit zusätzlich an. Die Schwierigkeiten, sich an die sozialen Veränderungen anzupassen, die Wirkung der Propaganda aus Ankara, das Gerücht,  die Grenzzone würde sich zu einem Kriegsschauplatz entwickeln, das Beispiel der nach Israel auswandernden bulgarischen Juden; all dies bestärkte den Wunsch der Türken nach Emigration. Der Tod Dimitrovs am 2. Juli 1949, mit dessen Namen bereits seit den zwanziger Jahren die Pläne einer kommunistischen Balkanföderation und die sich daraus ergebende Förderung der Minderheitenrechte verbunden waren, mag einen neuen Anstoß dazu gegeben haben.
          Am 18. August 1949 gab das Politbüro des ZK der BKP grünes Licht für den um ein Jahr verschobenen Kurs der Aussiedlung. Es wurde beschlossen, den Emigrationswilligen aus den Grenzgebieten keine Hindernisse mehr in den Weg zu legen. Falls die Türkei deren Aufnahme bis zum Ende des Jahres verweigern sollte, so sei die Umsiedlung dieses Teiles der Bevölkerung „in nördliche Gegenden des Landes“ zu organisieren und an ihrer Stelle sollten Bulgaren angesiedelt werden. Für die praktische Vorbereitung und Durchführung der Aktion bildete man einen Regierungsausschuß beim Ministerrat. Die Aussiedlung sollte schrittweise „nach Etappen und Gruppen“ erfolgen, wobei zuerst alle „türkischen Reaktionäre und Anstifter“ erfaßt werden sollten. Was die Pomaken anbetraf, so sollte künftig nach dem Grundsatz verfahren werden, dass sie „Bulgaren und keine Türken oder irgendeine Mischung zwischen Bulgaren und Türken“ seien. Und, da in der Vergangenheit dieser Bevölkerung mit Gewalt turkisiert worden sei, läge es heute in ihrem Interesse, sich von den Einflüssen der „türkischen Reaktion“ zu befreien und sich „vollständig mit dem Bulgarenvolk zu vereinigen“.
          Dieser Beschluß fiel knapp einen Monat, nachdem Vasil Kolarov an die Spitze des Staates gelangt war, doch wurde die ganze Aktion zu Zeiten Vălko Červenkovs durchgeführt. Zwischen dem 10. August 1950 und Anfang November 1951 verließen 155.667 Menschen das Land. Schon damals wähnten ausländische Beobachter, dass der Zeitpunkt der Emigration sowjetischem Einfluß zuzuschreiben sei. Zweimal ließ die Türkei ihre Grenze schließen, mit der Begründung, unter den Auswanderern befänden sich auch Zigeuner mit gefälschten Visa. Doch während im Oktober 1950 diese Maßnahme zu einer Regulierung der Emigrationswelle führte, sah die Situation ein Jahr später bereits anders aus. Schon in der ersten Hälfte des Jahres 1951 machten sich nämlich neue Tendenzen im bulgarischen politischen Kurs bemerkbar. Im Jänner und Februar traf das Politbüro manche Entscheidungen über die Parteiarbeit mit der türkischen Bevölkerung, über den Austausch von Delegationen mit Aserbaidschan, über die Besiedlung des von den türkischen Auswanderern verlassenen Landes usw. Im Februar hielt sich eine aserbaidschanische Kulturdelegation in den von bulgarischen Türken bewohnten Gebieten auf. Auch der türkische Dichter Nazım Hikmet besuchte auf dem Weg nach Moskau Bulgarien, wo er die Muslime zum Verbleiben aufforderte, indem er über die „Wahrheit vom Leben in der Türkei“ sprach. So bereiteten die kommunistischen Machthaber noch zu Zeiten des im Höhepunkts der Auswanderungskampagne den Boden für die Einführung der sowjetischen Nationalitätenpolitik. Am 26 April 1951 empfahl das ZK der BKP eine vermehrte Aufnahme von Türken in die Partei. Sie sollten im „patriotischen Geist“ erzogen werden, um „sich als Bürger von Bulgarien zu fühlen und zu begreifen, dass sie selbst aktive Erbauer des Sozialismus und ihres eigenen Glücks“ seien. Im Mai desselben Jahres erschienen in der bulgarischen Presse Berichte über die Rückkehr mancher enttäuschter Auswanderer, und seit dem August 1951 zeichneten sich die Umrisse der neuen Minderheitenpolitik, die auf die Integrieren der türkischen Bevölkerung in das alltägliche Leben des Landes ausgerichtet war, immer deutlicher ab. Gleichzeitig sank auch die Zahl der Auswanderer. Nachdem schließlich die Türkei zum zweiten Mal ihre Grenze geschlossen hatte, wurde in Sofia die Politik der Emigration bulgarischer Türken endgültig fallengelassen.
          Die Zeit Červenkovs am Ende der „Stalin-Ära“ nimmt in der Geschichte der bulgarischen Türken einen besonderen Platz ein. Parallel zu der verstärkten Sowjetisierung des Landes wurde in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre auch eine Politik der Erweiterung der Rechte der türkischen Minderheit in den Bereichen Kultur und Ausbildung betrieben. Im gewissen Sinne war dies eine Fortsetzung der sogenannten „Dimitrovschen Periode“, doch während man damals bei der Überwindung ethnischer Probleme hauptsächlich von den bulgarischen Traditionen, dem Streben nach dem Aufbau einer „volksdemokratischen“ Regierungsform und dem Wunschtraum einer Balkanföderation ausgegangen war, so wurde nun die sowjetische „Erfahrung“ in die Verhältnisse eines (mono)nationalen Staates eingebracht. Daher könnte man die Zeitspanne zwischen 1951 und 1958 als eine besondere Etappe in der Geschichte der türkischen Minderheit bezeichnen. In diesen Jahren wurden viele türkische Schulen gebaut, neue türkische Zeitungen, Bibliotheken und Theater gegründet, die geistliche und wirtschaftliche Entwicklung der muslimischen Bevölkerung sowie die Formierung einer türkischen Intelligenz wurden angeregt und gefördert, doch all dies im Rahmen der kommunistischen Ideologie und des auferlegten sowjetischen Gesellschaftsmodells.
          Noch im Jahr 1951 wurden türkische Theater in Chaskovo und Kolarovgrad [Šumen], später in Kărdžali, Razgrad und Ruse (1954) u. a. eröffnet. Zu den bereits vorhandenen türkischen Zentralpresse kamen neue Editionen der BKP-Bezirkskomitees von Kolarovgrad, Chaskovo, Ruse und Stalin [Varna]. Die meisten davon erschienen zuerst als türkischsprachige Beilagen zu entsprechenden bulgarischen Zeitungen, die sich dann zu gesonderten türkische Periodika entwickelten, so z. B. „Kolarovgrad savaşı“ [Kolarovgrader Kampf, Šumen 1951-1956], „Rodop mücadelesi“ [Rhodopenkampf, Chaskovo 1951-1959], „Tuna gerçeği“ [Donauer Wahrheit, Ruse 1955-1959], „Stalin bayrağı“ [Staliner Fahne, Varna 1956-1959] usw.  Ab dem Jahr 1954 begann man auch eine türkische Zeitschrift „Yeni hayat“ [Neues Leben, Sofia] herauszugeben.
          Zum Bau türkischer Schulen: Gab es im Jahr 1952 schon 1020 Haupt- und drei pädagogische Schulen, die von etwa 97% aller türkischen Kinder besucht wurden, so stieg die Zahl dieser Schulen im nächsten Schuljahr 1952/3 auf 1054 und erreichte im Jahr 1957 die Zahl von 1149 Lehranstalten. Darin wurde in der Muttersprache unterrichtet – das Bulgarische war nur mit ein paar Stunden vertreten –, wobei die Schuler auch Kenntnisse über die türkische Geschichte und türkische Literatur vermittelt bekamen. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Errichtung von türkischen Mittelschulen und pädagogischen Instituten geschenkt. Im Jahr 1953 waren schon vier türkische Gymnasien, drei türkische Abteilungen an bulgarischen Mittelschulen und drei Institute für die Ausbildung türkischer Lehrer in Betrieb.  Für den Ausbau des türkischen Bildungswesens in Bulgarien berief man eigens dafür geschulte sowjetische Fachleute an die verantwortlichen Stellen.  Anfangs wurden türkische Jugendliche zum Studium an Hochschulen in die Sowjetunion (hauptsächlich nachAserbaidschan) geschickt, doch schon im Jahr 1954 gründete man einen Lehrstuhl für „Türkische Philologie“ an der Sofioter Universität, womit endlich die Voraussetzungen für eine institutionalisierte Entwicklung der Orientalistik in Bulgarien geschaffen wurden. Auf diese Weise bekam die türkische Jugend weit bessere Bildungsmöglichkeiten. Allerdings richteten sich die Lehrprogramme immer stärker nach dem ideologischen Hauptziel, nämlich die jungen Türken in die kommunistischen Ideale einzuführen und sie nach sowjetischem Muster zu erziehen.
          Gleichzeitig führte man eine Reihe von Verbesserungen im sozialen und ökonomischen Bereich durch. In den von Türken bewohnten Gebieten begann man Industriebetriebe, Krankenhäuser und neue Straßen zu bauen sowie den Handel mit staatlicher Hilfe zu fördern. Es gab auch viele Maßnahmen, um die gesellschaftlich-politische Einbeziehung der Bevölkerung durch deren Eingliederung in die Vaterländische Front und die BKP-Organisationen zu erzielen. Man organisierte Haushaltslehrgänge für Frauen, Speziallehrgänge für Krankenschwestern, Ausbildungskurse für Traktoristen und Brigadiere; man führte regelmäßige Versammlungen mit Vorträgen durch, worauf – wie nicht anders erwartet – der Schwerpunkt auf „ideologische Aufklärung“ lag. Bei den Kommunalwahlen des Jahres 1952 wurden z. B. 3291 bulgarische Türken gewählt, darunter 284 Frauen. Zur gleichen Zeit waren etwa 4000 Angehörige der Minderheit Mitglieder der BKP oder der Vaterländischen Front und über 18.000 Türken hatten verschiedene verantwortliche Stellen inne.          Die verbesserten Lebensbedingungen und die Ausweitung der Minderheitenrechte spiegelten sich im absoluten Zuwachs der türkischen Bevölkerung wider. Die Volkszählung des Jahres 1956 registrierte zwar nur 656.025 bulgarische Türken (8,74% der Gesamtbevölkerung), das bedeutet also eine Abnahme von 19.475 Menschen im Vergleich zum Jahr 1946, wenn man aber auch die Anzahl der zwischen 1948 und 1951 emigrierten Muslime berücksichtigt, so wird der reale Zuwachs unter den Türken über 130.000 Menschen betragen haben.
          Ob schon zu dieser Zeit der demographische Aspekt bei der Formierung der Minderheitenpolitik eine Rolle gespielt hat, läßt sich heute schwer ermitteln. Bekannt ist, dass er sich erst unter Todor Žikov, in den siebziger und achtziger Jahren, zu einem wichtigen Faktor entwickelte, als die Zahl der bulgarischen Türken in etwa einen zehnprozentigen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachte. Unklar ist auch, inwieweit die bis zum Jahr 1956 vertretene Parteilinie zu einer „Erweckung des türkischen Nationalismus“ beigetragen hat. Mit diesem Argument wurde später die Wende im Regierungskurs unter Živkov häufig begründet. Gewiß haben die kommunistischen Machthaber die Entwicklung der Minderheiten im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg gefördert und so zur Herausbildung einer neuen türkischen Intelligenz beigetragen. Es wäre aber falsch zu behaupten, dass diese Intelligenz das Bulgarische nicht beherrscht hätte, da ihre hervorragendsten Vertreter auch heute noch in das gesellschaftlich-politische Leben des Landes bestens integriert sind. Wahr ist, dass sowohl unter Dimitrov als auch unter Červenkov die Lösung des „Türkenproblems“ im Sinne der stalinistischen Nationalitätenpolitik versucht wurde. Wenn dies alles in den vierziger Jahren in Anbetracht der erwarteten Gründung einer sozialistischen Balkanföderation als gerechtfertigt erschien, so führte die Applikation des sowjetischen Modells auf die völlig unterschiedlichen Verhältnisse eines (mono)nationalen Staates schließlich zu einem unvermeidbaren Widerspruch zwischen den damaligen Interessen der bulgarischen nationalen Sicherheit und dem Selbstbestimmungsrecht der türkischen Minderheit. Eben deshalb kam es am Ende der Stalin-Ära zu einer Wende auch in der Minderheitenpolitik, die sich nun auf die allmähliche, aber immer umfassendere Einbeziehung der Türken in die Nation der Bulgaren richtete. Der neue Kurs widersprach aber keinesfalls der sowjetischen nationalen Doktrin. Schon Lenin hatte verkündigt, dass alle Nationen im Kommunismus zu einer Weltnation mit einer gemeinsamen Sprache zusammenfließen sollen. Ab dem Jahre 1929 sprach auch Stalin vom neuen Typus der „sozialistischen Nation“. Später vertrat Chruščev die These von einer beschleunigten Annäherung der Nationalitäten in der UdSSR bis zu ihrer vollständigen Vereinigung in einer russifizierten Sowjetnation. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der Adept seiner Politik, Todor Živkov, die neuen sowjetischen Ansichten zur Nationalfrage konsequent anwendete.

Die Ära Živkov (1956-1989)

          Die Richtungsänderung in der Nationalitätenpolitik begann mit dem Aprilplenum des ZK der BKP im Jahre 1956, das von den Beschlüssen des 20. Parteitages der KPdSU beeinflußt war. Noch im selben Jahr wurden die Grundumrisse der neuen Minderheitenpolitik entworfen. Ihre Hauptprinzipien lauteten wie folgt: 1. Abgrenzung vom föderativen Modell der UdSSR und Jugoslawiens, mit der Begründung, Bulgarien sei „kein multinationaler Staat“ (damit auch die Absage an den bisherigen Kurs in bezug auf die Integration der Minderheiten), und 2., als neue Position: „die bulgarischen Türken stellen einen untrennbaren Bestandteil des bulgarischen Volkes dar“ – der Beginn einer Politik der Nivellierung von Unterschieden im ethnischen und kulturellen Bereich. Hätte man bis dahin die Kulturautonomie der Türken gefördert, wobei man die nationale Identität vom religiösen Moment zu trennen versuchte, so begann mit der Machtergreifung Živkovs den umgekehrte Prozeß der allmählichen Einschränkung der Minderheitenrechte, um den türkischen Bevölkerungsteil auch durch restriktive Maßnahmen in die bulgarische Nation einzugliedern. Die Živkov-Ära war charakterisiert durch eine partielle Rückkehr zu den alten Traditionen, aber auch durch eine verstärkte Abhängigkeit Bulgariens vom „großen Bruder“ in Moskau. Im Einklang mit den Veränderungen an der Spitze der bulgarischen (bzw. sowjetischen) Staats- und Parteiführung kann die folgende Epoche bis zum Zerfall des kommunistischen Systems im Jahre 1989 im Bereich der Nationalitätenpolitik in drei Abschnitte mit weiteren Differenzierugen eingeteilt werden. 
1. 1956-1974. Den Zeitabschnitt bis zur Mitte der siebziger Jahre kennzeichnen zahlreiche Plenarsitzungen des ZK über Fragen der bulgarischen „Türkenpolitik“, wobei – im Namen der sozialen und ökonomischen Integration – eine zunehmende Reduktion des türkischsprachigen Unterrichts und vieler anderer Minderheitenrechte erfolgte. Es kam zu Namensänderungen unter den Pomaken und Roma-Muslimen, während die türkische Bevölkerung einem starken antireligiösen Druck ausgesetzt war.

1.1. 1956-1964. Dies ist die Epoche Nikita Chruščevs. Unter dem Zeichen der „Entstalinisierung“ erfolgten auch in der bulgarischen Minderheitenpolitik eine Wende und die Aufnahme des Kurses einer neuen Art der Integration der türkischen Bevölkerung. Im Einklang mit den neuen sowjetischen Ansichten über die allseitige Annäherung der Nationalitäten in der UdSSR bis zu ihrer Verschmelzung in einer „sozialistischen Sowjetnation“ erschien in Bulgarien der entsprechende Begriff von der „sozialistischen bulgarischen Nation“, die auch die „sozialistischen nationalen Minderheiten“ in sich einschließen sollte. So wurden die bulgarischen Türken zu einem „untrennbaren Teil des bulgarischen Volkes“, was breite Bestrebungen zur Folge hatte, die Möglichkeiten ihrer nationalen Identifikation zu beseitigen. Bald wurden die türkischen und bulgarischen Schulen vereinigt und der türkischsprachige Unterricht auf fakultative Stunden beschränkt. Gegen Ende der fünfziger Jahre verschwanden vorläufig auch die Regionalzeitungen „Savaş“, „Rodop mücadelesi“, „Stalin bayrağı“, „Tuna gerçeği“ (alle bis zum Jahr 1959) sowie die Ausgaben für Kinder „Eylülcü çocuk“ und „Piyoner“ (bis 1960). Übrig blieben nur mehr einige Rundfunksendungen und ein paar zentrale periodische Druckschriften in türkischer Sprache. 1964 unternahm man auch vereinzelte Versuche, die muslimischen Namen unter den bulgarischsprachigen Muslimen zu beseitigen, doch musste das Regime infolge des starken Widerstandes diese Aktion einstellen.

1.2. 1964-1974. Die Ära Leonid Brežnevs wurde von einer Intensivierung der Integration begleitet, wobei nun auch der Trend zur Assimilation spürbar wurde. Man suchte eine Balance zwischen der Einbeziehung der türkischen Bevölkerung und der „Befreiung“ von ihrem unzuverlässigen Teil durch Auswanderung zu erreichen.
          Nachdem Chruščev im Oktober 1964 als Generalsekretär abgesetzt worden war und der für die achtziger Jahre verkündete „Eintritt in den Kommunismus“ auf ungewisse Zeit verschoben werden mußte, stagnierte zunächst auch der nationale Integrationsprozeß in Bulgarien. Es erscheinen wieder neue türkische Lokalzeitungen, wie z. B. „Komunizm bayrağı“ [Kommunistische Fahne, Tărgovište 1964 f.], „Dostluk“ [Freundschaft, Razgrad 1964 f.], „Ziya“ [Licht, Silistra 1965 f.], „Halk davası“ [Volkssache, Varna, 1965 f.], „Kolarovgrad savaşı“ [Kolarovgrader Kampf, Kolarovgrad 1965], eine Zeitung, die ab 1966 unter dem Titel „Ziya“ [Licht, Šumen] herausgegeben wurde. In den Schulen lernte man weiter Türkisch. In dieser Sprache wurden sowohl Lehrbücher als auch ausgewählte Werke der Belletristik veröffentlicht. Die Rundfunkstationen in Sofia, Šumen und Kărdžali sendeten  spezielle Programme auf Türkisch; es entwickelte sich auch die „Türkische Philologie“ an der Sofioter Universität, die nun auch den bulgarischen Studenten zugänglich gemacht wurde. Mit der Abschaffung von Lehrfächern, wie z. B. der türkischen Volkskunde oder der Dialektologie,  zeigten sich jedoch bereits bestimmte Tendenzen in der Umsetzung der Minderheitenpolitik.
          Die Volkszählung des Jahres 1965 ergab die Zahl von 746.755 bulgarischen Türken, was 9,19% der Gesamtbevölkerung entsprach, also neuerlich einen Zuwachs im Vergleich zum Zensus des Jahres 1956. Dies veranlaßte die Regierung erneut, nach der Auswanderung als geeignetem Mittel für die Lösung des „Türkenproblems“ zu greifen. Im Jahr 1968 wurde zwischen Sofia und Ankara ein Abkommen über Familienzusammenführung geschlossen, das etwa 30.000 Menschen umfassen sollte. Doch die 81.299 Aussiedlungsanträge übertrafen bei weitem die Erwartungen. Der großen Mehrzahl der Türken, die im Lande bleiben wollten, drohte ein anderes Schicksal. Am 25. Februar 1969 faßte das Politbüro den Beschluß über die „Beschleunigung des natürlichen Prozesses zur Überwindung der ethnischen Unterschiede“, und am 19. April 1969 einen weiteren über den „kulturellen Aufschwung der werktätigen Türken“. Dementsprechend wurde auch das Grundgesetz geändert. Die neue „Živkovsche“ Verfassung von 1971 erkannte keine nationale Minderheiten mehr an. Sie räumte in Art. 45, Abs. 7 den „Bürgern nichtbulgarischer Abstammung“ lediglich das individuelle Recht ein, „auch ihre eigene Sprache“ zu erlernen. Gleichzeitig hat die von Brežnev lancierte These von einem „einheitlichen Sowjetvolk“ (1971) ihre Reflexion in dem zwischen 1971 und 1973 in Bulgarien eingeführten Begriff „einheitliche sozialistische Nation der Bulgaren“ gefunden. Der Weg dorthin führte über die „Bulgarisierung“ der Namen der gesamten bulgarisch-muslimischen Bevölkerung, wobei Unruhen in den Gebieten von Pazardžik, Stara Zagora, Smoljan, Blagoevgrad usw. ausbrachen. Auch im Jahr 1974 kam es zu Zusammenstößen, als alle Moscheen mit Ausnahme jener von Sofia vorläufig geschlossen wurden.

2. 1974-1984. Diese Periode, vom politishen Aufstieg der Tochter Todor Živkovs, Ljudmila Živkova, gekennzeichnet, begann mit dem Plenum des ZK vom 7.–8. Februar 1974, auf dem Aleksandãr Lilov einen Vortrag über die Verstärkung der ideologischen Arbeit hielt. Dies gab den Anstoß zur beschleunigten Errichtung einer „sozialistischen Einheitsnation“. Lilovs Referat plädierte für die Ausarbeitung einer „Gesamtkonzeption eines Systems der Feste des bulgarischen Volkes“ und sprach von der Notwendigkeit der „nationalen Besinnung und patriotischen Erziehung“ der bulgarischen Muslime sowie von der vollständigen „ideologisch-politischen Einbeziehung der Bevölkerung türkischer Herkunft“. Die Propaganda wurde unter anderem vor die Aufgabe gestellt, „auch auf die Psyche der Persönlichkeit“ (sic!) einzuwirken, um „bestimmte Emotionen, Stimmungen und Wünsche“ zu erwecken. Beim Staatsrat der Republik wurde ein „Rat zur Entwicklung der geistigen Werte“ unter Ljudmila Živkova gegründet, dessen Vizepräsident, Şukri Tahirov, ebenso wie andere türkische Protagonisten aktiv bei der Errichtung eines „Systems der sozialistischen Feste und Bräuche“ und bei der Beseitigung des „Ethnozentrismus“ der türkischen Bevölkerung unter Berücksichtigung ihrer Aufnahme in die „sozialistischen Einheitsnation“ mitwirkten. Mit der Schließung der Moscheen im Jahre 1974 begann eine breite atheistische Offensive mit dem Ziel, die religiösen Rituale durch solche ethnisch-neutralen Charakters zu ersetzen. Man machte Front gegen muslimischen Traditionen und die traditionelle Bekleidung, darüber hinaus erschienen auch Veröffentlichungen über die bulgarische Abstammung der türkischsprachigen Muslime. Im Jahr 1977 behauptete man, „Bulgarien sei fast gänzlich einem ethnischen Typ zugehörig und laufe auf eine vollständige Homogenität hinaus“. Damals wurde auch das bulgarisch-türkische Zusatzprotokoll unterzeichnet, mit dem eine Aussiedlung von weiteren 62.000 bulgarischen Türken vereinbart wurde. Somit endete die schon zehn Jahre dauernde „Familienzusammenführung“, in deren Verlauf sich etwa 130.000 Menschen in der Türkei niederließen. Im Jahr darauf nahm man auch keine weiteren Studenten für das Fachgebiet „Turkologie“ mehr auf, später wurden die türkischsprachigen Rundfunksendungen reduziert und die wenigen verbliebenen türkischen Zeitungen begannen nun „zweisprachig“ zu erscheinen, 1979 schließlich erklärte Todor Živkov die nationale Frage im Lande für endgültig gelöst. So wurden alle Voraussetzungen für die letzte „Integrationsphase“ geschaffen, die Ende 1984 mit dem Angriff auf die türkischen Namen begann.

3. 1984-1989. In diesen Zeitabschnitt fällt der sogenannte „Prozeß der Wiedergeburt, der mit massenhaften Namensänderungen der bulgarischen Türken begann und mit weiteren Maßnahmen zur gewaltsamen Einschränkung ihrer nationalen Identität seinen weiteren Verlauf nahm. So wurden die türkischen Zeitungen und Rundfunksendungen endgültig verboten, auch das Tragen der muslimischen Frauentracht, der offene Gebrauch des Türkischen und die rituelle Beschneidung sowie andere islamische religiöse Bräuche untersagt. Für viele Beobachter von außen sowie für die Mehrheit der Bulgaren kam der Versuch einer vollständigen Assimilierung der Minderheit ganz unerwartet. Bis dahin hatte der bisherige Integrationskurs gute Ergebnisse gezeigt. Der materielle Wohlstand der bulgarischen Türken hatte sich erhöht, und in kultureller Hinsicht hatten sie das durchschnittliche Bildungsniveau der Bevölkerung in der Türkei weit überholt. Sieht man einmal vom ideologischen Druck ab, dem ja die gesamte Bevölkerung Bulgariens ausgesetzt war, so hatten die Türken im Lande definitiv bessere Perspektiven als in der vorkommunistischen Zeit nach 1934. Warum also hatte die Parteispitze den Entschluß gefaßt, die türkische Frage auf solch drastische Weise zu lösen?  Die Erklärung dafür muß man wohl in einem Komplex von Ursachen und Umständen suchen, die schließlich zur Aktion von 1984-85 geführt haben.
          Sicherlich haben die Befürchtungen über die Auswirkungen der Propaganda von seitens Ankaras, die der feindseligen Stimmung im Lande Nahrung gab, eine gewisse Rolle gespielt. Diese Propaganda wirkte als Hemmschuh bei der Säkularisierung der Muslime und behinderte somit die Einbeziehung der Türken in die sozialistische Gesellschaft, was wiederum die begonnene Modernisierung Bulgariens behinderte. Sehr oft wurde in diesem Zusammenhang auch die Zypern-Frage erwähnt, doch erscheint der Gedanke an die Gefahr einer Teilung wie in Zypern als viel zu spekulativ, da in einer Zeit der Konfrontation der Blöcke eine solche Entwicklung als höchst unwahrscheinlich angesehen werden muß. Weitaus wichtiger mögen wohl die demographisch bedingten Erwägungen gewesen sein. Durch die niedrige Geburtenrate unter den Bulgaren bei gleichzeitig doppelt so hohem Zuwachs unter den Türken und Roma zeichnete sich nach Meinung der Regierung eine ungünstige Tendenz für das Volk der Bulgaren ab. Laut einiger Presseberichte aus dem Jahr 1983 wuchs die Bevölkerung in den Bezirken mit überwiegend türkischen Einwohnern sechsmal schneller an als im bulgarischen Durchschnitt. Dies beunruhigte so manchen um so mehr, als die Türken schon damals mehr als 10% der Bevölkerung Bulgariens ausmachten und für Dezember 1985 eine neue Volkszählung geplant war. Wohl auch deswegen wurden 1980-1985 die Personalausweise erneuert, wobei man über eine viertel Million Roma unter neuen bulgarischen Namen registrierte. In Anbetracht des bevorstehenden 100. Jubiläums von der Vereinigung Bulgariens (1885) und des 110. Jahrestags des April-Aufstandes (1876) erschien dies gemäß dem ideologischen Plan als ein günstig ausgewählter Zeitpunkt zur „Homogenisieren“ der bulgarischen Nation.
          Im Falle der türkischen Minderheit war man vor die Frage gestellt, ob man sie durch eine neuerliche Auswanderungsvereinbarung zahlenmäßig reduzieren sollte oder ob vielleicht andere Lösungen zu suchen wären, die das Anwachsen der muslimischen Bevölkerung und damit gleichzeitig die Gefahr einer wie auch immer gearteten Autonomie verhindern könnten. Offensichtlich wurden beide Möglichkeiten in Erwägung gezogen. Nach Mitteilung des damaligen türkischen Präsidenten Kenan Evren soll der bulgarische Staatschef Todor Živkov 1982 an ihn die Frage nach den Aussichten einer Fortsetzung der Emigration gerichtet haben. Vielleicht trug die negative Antwort Evrens zur Entscheidungsfindung bei.
          Daß der sogenannte „Prozeß der Wiedergeburt“ schon seit langem vorbereitet worden war, ist aus der Untersuchung einer von Aleksandăr Lilov geleiteten Expertengruppe im Jahre 1982 ersichtlich, die auch die möglichen negativen Folgen eines solchen Unternehmens in Rechnung zog, und bereits 1978 erklärte Şukri Tahirov ganz offen, dass der Prozeß der Annäherung und Einbeziehung der bulgarischen Türken „das Verschwinden der einzelnen (ethnischen u. a.) Besonderheiten“ zum Ziel habe, und dass die Politik des „allmählichen Auslöschens der ethnischen Differenzen“ letzten Endes zur „Formierung einer neuen sozial-ethnischen Gemeinschaft“ führen solle. Daraus ist klar ersichtlich, in welche Richtung die bulgarische Minderheitenpolitik gehen sollte. Später räumten manche Staats- und Parteifunktionäre ein, dass „der Prozeß der Wiedergeburt“ eigentlich schon unmittelbar nach dem April-Plenum 1956 begonnen habe und sich in den sechziger und siebziger Jahren unter den bulgarischen Muslimen verwirklichte, um sich dann „mit neuer Kraft, spontan und umfassend“ unter den übrigen Muslimen auszubreiten.
          Bei der Errichtung der „sozialistischen Einheitsnation“ wäre man früher oder später zur „Bulgarisierung“ der Türken geschritten. Dies um so mehr, als die Umbenennung der Roma und Pomaken ohne besondere Erschütterungen vonstatten gegangen war, weswegen die Parteispitze auch hinsichtlich der türkischen Bevölkerung keine besonderen Probleme erwartete. Trotz der Anpassung an die politischen Veränderungen in Moskau hielt Živkov an der sogenannten „April-Linie“ der Partei fest. So blieben z. B. nach der Absetzung Chruščevs die Direktiven des 8. Kongresses der BKP zur Entwicklung des Landes bis zum Jahr 1980 in Kraft, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon die „Errichtung der materiell-technischen Basis des Kommunismus“ hätte beginnen sollen. In den achtziger Jahren scheint auch die Politik zur Integration der Minderheiten auf dieses Ziel hin orientiert gewesen zu sein, denn man erwartete offensichtlich, dass dann auch die letzten Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen der neuen „sozialistischen Nation“ beseitigt sein würden.
          Andererseits pflegte man fast überall auf dem Balkan die Minoritätenfragen auf ähnlich drastische Art und Weise zu regeln. So erhielten die Familiennamen der Bulgaren in Jugoslawien serbische Endungen und die Bulgaren wurden offiziell als Serben, Makedonier oder sogar als „Šopen“ bezeichnet, während die Namen der Slawen in Griechenland hellenisiert wurden, so daß man von „slawophonen Griechen“ sprach. Auch in der Türkei selbst existierte die Praxis einer obligatorischen Änderung der Familiennamen; gemäß Verfassung wurden dort alle Untertanen zu „Türken“ erklärt. Man erlaubte die Verbreitung von Druckerzeugnissen in keiner anderen Sprache als der türkischen, und mit dem Parteigesetz vom Jahr 1983 war die Pflege der Identität von Minoritäten mittels nichttürkischer Sprachen und Kulturen verboten. Ähnlich wie im Bulgarien wurden auch hier seit 1975 keine statistischen Daten mehr über die ethnischen und religiösen Minderheiten publiziert. So verwandelten sich mit der Zeit in den offiziellen Veröffentlichungen beispielsweise die Lasen in „Küstentürken“; die Araber wurden zu „Türken arabischer Zunge“, und die Kurden erklärte man für „Gebiergstürken“, sogar mit einer entsprechenden türkischen Etymologie des Ethnonyms („Kürd“ aus türkisch „kurt“, d. h. „Wolf“). Ähnlich versuchte nun auch die kommunistische Spitze Bulgariens bei der Lösung der „Türkenfrage“ vorzugehen.
          Man darf darüber hinaus nicht außer Acht lassen, dass gegen Ende der Brežnev-Ära in diese Richtung zielende Tendenzen auch in der Sowjetunion existierten. Anläßlich der Diskussion über das Projekt einer neuen Verfassung im Jahre 1977 gab es beispielsweise den Vorschlag, den Begriff „einheitliche Nation“ statt „einheitliches Sowjetvolk“ einzuführen und die Unionsrepubliken aufzulösen. Brežnev kritisierte zwar einerseits diese künstliche Beschleunigung der Integration, andererseits verhinderte er jedoch auch Versuche, diesen Prozeß aufzuhalten und behauptete öfters (ähnlich wie Živkov), dass die „nationale Frage“ in der UdSSR endgültig gelöst sei. Auf der These des „einheitlichen Sowjetvolkes“ beharrte auch Jurij Andropov. Ende 1982 sprach auch er wieder vom ideologischen Ziel, durch die wirtschaftliche Integration und Russifizierung eine sowjetische Einheitsnation zu schaffen, in der alle ethnokulturellen Unterschiede verschwinden sollten. Kurz danach wurde der Bericht der Expertengruppe Lilovs ausgearbeitet.
          Diese Übereinstimmungen sind nicht zufällig. Das Forcieren des Assimilationskurses gerade zur Zeit Jurij Andropovs und Konstantin Černenkos, als die Krise des Sowjetregimes von einer Verschärfung der internationalen Spannungen begleitet wurde, zeigt deutlich, wie groß die Abhängigkeit Bulgariens von der Sowjetunion war.  Und wenn es keine Beweise für irgendeine russische Beteiligung bei der Durchführung des „Prozesses der Wiedergeburt“ gibt, sind seine Voraussetzungen eigentlich im ideologischen Diktat Moskaus begründet, was auch den Kurs der „allseitigen Annäherung zwischen Bulgarien und der UdSSR“  bedingte.
          Trotzdem kam die Aktion der Namensänderung sehr überraschend. Nichts deutete im Jahr 1984 auf die bevorstehenden Ereignisse hin. In den Massenmedien und in der wissenschaftlichen Literatur benutzte man den Ausdruck ”bulgarische Türken” weiter, woraus ersichtlich ist, dass der Entschluß zum sogenannten ”Prozeß der Wiedergeburt” nur der Parteispitze bekannt war und die offizielle Begründung, es gäbe keine türkische Bevölkerung im Lande, erst später ausgearbeitet wurde. Am 8. Mai 1984 wurde im Politbüro ”Über die weitere Vereinigung und Einbeziehung der bulgarischen Türken in die Sache des Sozialismus, in die Politik der BKP” referiert. Auf dieser Sitzung erinnerte Živkov, daß die ethnische Gruppe der Türken schon sehr zahlreich geworden sei und man offenbar auch künftig mit Versuchen zu ihrer Destabilisierung zu rechnen habe. Trotzdem betonte er, dass ”wir einen großen politischen Fehler begehen würden, falls man nun den bulgarischen Türken zu beweisen begänne, daß sie eigentlich ihrer Ursprung nach zur Zeit des Osmanenjochs turkisierte Bulgaren seien“. Später jedoch vertrat man genau diese These.
          Im Juni 1984 mehrten sich die Fälle, in denen Angehörige der Minderheit mit den neuen Personalausweise auch neue bulgarische Namen erhielten. Es handelte sich vor allem um die schon begonnene ”Rebulgarisierung” pomakischer Frauen und Kinder aus gemischten Ehen, doch rief dieses Vorgehen den Widerstand der Betroffenen hervor. Am 30. August 1984, dem Vorabend des Nationalfeiertags Bulgariens, als man den 40. Jahrestag der ”Sozialistischen Revolution” vom 9. September 1944 vorbereitete, explodierte auf dem Parkplatz des Flughafens von Varna eine Bombe, die zwei Frauen verwundete. Eine halbe Stunde später erfolgte eine weitere Explosion im Warteraum des Bahnhofs von Plovdiv – ein Mensch starb, 44 Personen wurden verletzt. Einigen westlichen Nachrichtenagenturen zufolge hatte man zu eben dieser Zeit in Plovdiv und Varna den Staatschef Živkov erwartet. Offensichtlich waren ähnliche Terrorakte auch in Burgas, Ruse, Šumen und Tărgovište geplant.  Wenig später entdeckten die Sicherheitsorgane in einem Bauernhaus in der Umgebung von Varna ein ganzes Waffendepot. Doch die Vermutungen Georgi Slavovs, dass es sich in diesem Fall um eine Inszenierung seitens der Staatssicherheit gehandelt hätte, bestätigte sich nicht. Schon damals vermutete man eine ”türkische Spur” in den Bombenangriffen, und später wurden die Täter dieser und auch anderer Terrorakte festgenommen.
          Dies alles beschleunigte wohl den Beginn des „Prozesses der Wiedergeburt“, und damit sollte sich auch schon bald das Schicksal der türkischen Minderheit entschieden. Die Kampagne gegen die Minderheit selbst begann um Weihnachten – zuerst in den Bezirken von Kărdžali und Chaskovo, dann aber auch in anderen Teilen des Landes. Ihren Ausgang nahm sie in den östlichen Rhodopen und breitete sich dann in Mittel- und Nordostbulgarien aus, um schließlich alle von Türken bewohnten Ortschaften einzuschließen. Die Aktion lief fast überall ähnlich, was auf ein vorbereitetes Szenario hindeutete. In letzter Minute hatte man die örtlichen Parteiaktivisten informiert, die die notwendige Unterstützung gewähren sollten, dann sperrten Sicherheitskräfte die entsprechenden Dörfer ab. Telefonleitungen wurden unterbrochen und Personen, bei denen sich eine Waffe fand, oder die als vermutete Mitglieder illegaler Organisationen galten, wurden festgenommen. Den anderen Einwohnern wurden die Identitätsurkunden abgenommen und sie waren gezwungen, Deklarationen zu unterschreiben, in denen sie versicherten, keine Verwandte in der Türkei zu haben, nicht auswandern zu wollen und freiwillig und auf eigenen Wunsch um die Änderung ihrer ”arabisch-türkischen” Namen anzusuchen.
          Die administrative Willkür, die von mehreren Gewalttaten begleitet wurde, stieß auf unerwarteten Widerstand. In vielen Ortschaften kam es zu Zusammenstößen, bei denen Waffen zum Einsatz kamen. Es gab Tote und Verwundete, eine große Zahl Türken wurde verhaftet. Ausländischen Berichten zufolge seien in Momčilgrad im Gebiet von Kărdžali, sogar Panzer eingesetzt worden, wobei etwa 40 Menschen starben.
          Amnesty International führt das Beispiel des Dorfes Gorski Izvor an, in dem man von sechs getöteten und 40 verletzten Bauern berichtete. Im Südost-Bulgarien  habe man gegen die Demonstranten die Spezialeinheiten der ”Roten Barette” eingesetzt, und bei den Zusammenstößen seien bis zu 60 (nach türkischen Angaben sogar 800) Menschen getötet worden. Zu ähnlichen Ereignissen ist es auch in anderen Orten gekommen. Nach Berichten von Augenzeugen, die später in die Türkei gelangten, erinnerte dies alles „an eine Schlacht”. Laut der erst in den neunziger Jahren veröffentlichten bulgarischen Angaben jedoch soll die Gesamtanzahl der Opfer bei weitem nicht so hoch gewesen sein. Man erwähnt insgesamt sieben ”zufällig” zu Tode gekommene Menschen, und zwar einen im Dorf Mogiljane, zwei im Dorf Kajalovo, zwei im Dorf Gruevo und je einen in Kărdžali sowie in Momčilgrad.
          Mitte Januar 1985 fand im Plenum der Vortrag Georgi Atanasovs über die Namensänderungen die volle Zustimmung des ZK der BKP. Zur selben Zeit wurde von der Abteilung ”Ideologische Politik” beim Zentralkomitee ein ausführliches Programm ”Über die entschiedene Hebung des Niveaus der ideologischen Arbeit unter den Bulgaren mit wiederhergestellten Namen” ausgearbeitet. Darin wurden konkrete Maßnahmen zur weiteren Assimilierung der bulgarischen Türken vorgesehen, so z. B. zur Durchsetzung der neuen Namen, das Propagieren der These von der bulgarischen Herkunft der türkischen Bevölkerung, über die verstärkte Erlernung des Bulgarischen und dessen Verwendung in allen öffentlichen Bereichen – für Parteimitglieder sogar in der Familie. Die Einflüsse des Islam wollte man überwinden durch ”systematische politische Arbeit mit den Imamen”, durch die Errichtung gemeinsamer einheitlicher Friedhöfe, durch die Beseitigung der Beschneidung und aller religiös bedingter Feste usw. Nach einer Beratung des Zentralkomitees am 25. Jänner 1985 wurden ähnliche Anweisungen zur Durchführung dieser Maßnahmen auch den örtlichen Parteiorganisationen gegeben. Gleichzeitig wurden die Namensänderungen durchgeführt: Bis zum 11. Februar hatten schon etwa 814.000 Menschen neue bulgarische Namen erhalten, und auch die ”übrigen” turkophonen Muslime mussten mit diesen Maßnahmen rechnen.          Sehr rasch reagierte die Öffentlichkeit in der Türkei. Bereits am 21. Jänner 1985 demonstrierte eine Gruppe von Frauen vor dem Parlamentsgebäude in Ankara für die Autonomie der türkischen Minderheit in Bulgarien. Die Regierung Turgut Özals gab sich zunächst gelassen. Der Premierminister hielt sich mit einer Stellungnahme zurück und betonte später, man könne vorläufig nichts tun, weil sich Bulgarien und die Türkei in zwei verschiedenen Militärblöcken befänden. Am 27. Jänner forderte der Außenminister Vahit Halefoğlu die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren und erklärte, dass die Lösung des Problems den bilateralen Beziehungen keinen Schaden zufügen solle. Die regierenden Kreise der Türkei spielten mit dem Gedanken, Verhandlungen über ein neues Aussiedlungsabkommen aufzunehmen. Am 20. Februar wurde die Frage auch in der geschlossenen Sitzung des türkischen Meclis diskutiert. Zwei Tage nach den Debatten händigte das Außenministerium dem bulgarischen Botschafter eine offizielle Protestnote aus, worin die Ende der Gewalt und ein Ministertreffen zwecks Verhandlungen über ein neues Auswanderungsabkommen gefordert wurden. Sofias Antwort war aber negativ. Die Bulgarische Telegrafenagentur [Bălgarska Telegrafna Agencija, BTA] bezeichnete die Note als eine ”Einmischung in die inneren Angelegenheiten” und merkte dazu an, dass ein Land, welches einst so brutal gegen Armenier und Griechen vorgegangen sei und neuerdings seine eigene kurdische Minderheit zu vernichten trachte, keinen Grund zu Ansprüchen habe und nicht das Recht besitze, sich in rein bulgarische Probleme einzumischen. Dies verursachte neue Aufregung: die Istanbuler Zeitung „Güneş“ setzte das Bulgarien Živkovs mit dem Dritten Reich Hitlers gleich; im Fernsehen sprach Mesut Yılmaz von einem Genozid der bulgarischen Türken, und am 25. Februar erklärte Turgut Özal in einer Rede in Erzurum, dass sein Land bereit sei, neue Einwanderer aufzunehmen und den ”Landsleuten” aus Bulgarien jeden nötigen Beistand zu leisten.
          So trat die bulgarisch-türkische Kontroverse in eine neue Phase ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten beide Länder eine Haltung gegenüber der türkischen Minderheit in Bulgarien, die von Stereotypen geprägt war. Während die BKP diese in die ”sozialistische Modernisierung der Gesellschaft” einzubeziehen versuchte –  daher der atheistische, ideologische, später aber auch der assimilatorische Druck – , kämpfte die Türkei ihren eigenen nationalen Interessen entsprechend um die Bewahrung der religiösen und ethnischen Identität dieser Menschen. Nun schien die Zeit gekommen zu sein, den langjährigen Streit ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Deshalb wurden von beiden Seiten entsprechende Maßnahmen getroffen. Die Türkei wandte sich ab 1985 verstärkt an die Weltöffentlichkeit und nutzte jede Gelegenheit, um mittels internationaler Gremien Druck auf Sofia auszuüben. Die kommunistische Führung Bulgariens entschied, sich des ”türkischen Problems” auf eigene Art und Weise zu entledigen.
          Ende Februar 1985 berief Živkov eine geschlossene Sitzung des Politbüros und des Sekretariats des ZK der BKP ein, in der die offizielle Position Bulgariens in dieser Angelegenheit präzisiert wurde. In diesem Plenum kristallisierte sch heraus, dass die Kampagne nicht zur Ausübung eines neuen ”Druck zur Auswanderung” diente, sondern die Politik der BKP aus den sechziger und siebziger Jahren zur Errichtung einer ”ethnisch monolithischen bulgarischen Nation” wiederaufnahm. Bald wurden die Parteiaktivisten und die Bezirkskomitees der BKP in den Gebieten mit überwiegend türkischer Bevölkerung mit den Beschlüssen des Plenums bekanntgemacht.  Mit dieser Aufgabe waren die höchsten Staats- und Parteifunktionäre beauftragt worden. Überall erläuterten sie die neue Parteilinie und gaben Anweisungen zur Fortführung des ”Prozesses der Wiedergebur”. In vielerlei Hinsicht waren ihre Reden nahezu identisch, sie enthielten sogar vollständig gleichlautende Abschnitte, was darauf hinweist, daß sie sich alle auf eine gemeinsame Vorlage stützten. Offensichtlich hatte dazu der Vortrag gedient, der auf dem Plenum von Februar 1985 als programmatische Urkunde angenommen worden war.          Die neu formulierte bulgarische Position wurde in allen offiziellen Deklarationen eifrig verteidigt. Gleichzeitig sollten die noch verbliebenen Zeugnisse türkischer kultureller Identität beseitigt werden. Die bis 29. Jänner 1985 zweisprachige Zeitung „Yeni ışık“ [Neues Licht] ebenso wie die Zeitschrift „Yeni hayat“ [Neues Leben] erschienen nunmehr auf Bulgarisch, und auch die wenigen noch vorhandenen türkischsprachigen Rundfunksendungen wurden vollständig eingestellt. Man forcierte die ”Beseitigung der türkischen Spuren” in der bulgarischen Toponymen; die Verwendung des Türkischen als Umgangssprache in der Öffentlichkeit wurde verboten; ebenso wurden Maßnahmen zur Beseitigung aller von der islamischen Tradition her stammenden Merkmale, wie z. B. die Beschneidung, das Tragen von Pluderhosen, die Beachtung bestimmter Bräuche usw. ergriffen. Dies alles entsprach dem im Jänner 1985 verabschiedeten ZK-Programm für die ideologische Arbeit unter der türkischen Bevölkerung. Die konkreten Bulgarisierungsmaßnahmen wurden auf den im März 1985 begonnenen Beratungen der Bezirkskomitees der BKP mit den örtlichen Staats-, Partei-, Wirtschafts- und Gesellschaftsorganen diskutiert. Auf diesen Sitzungen fand der neue Kurs auch die volle Unterstützung vieler angesehenen Minderheitenvertreter, und ihre Äußerungen sowie Materialien über die bulgarische Herkunft der Bevölkerung einzelner Ortschaften wurden in der regionalen Presse und in den ehemaligen türkischen Ausgaben „Neues Licht“ und „Neues Leben“ veröffentlicht. Mit der Zeit entfaltete sich eine breite „Aufklärungskampagne”, an der sich fast alle örtlichen Parteikomitees und Gemeindeämter, gesellschaftliche Organisationen, Lehrer, Brigadiere, Betriebsleiter, Journalisten u. a. beteiligten.
          Im Sommer desselben Jahres wurden in zwei der Bezirken mit der größten Anzahl türkischer Bevölkerung Plenarsitzungen der Bezirkskomitees der BKP abgehalten, auf denen man die weiteren Maßnahmen zur Intensivierung des ”Prozesses der Wiedergeburt” präzisiere. Am 15. Mai erklärte der ZK-Sekretär Stojan Mihajlov in Kărdžali erneut die Parteilinie und sprach von der Notwendigkeit der Bekämpfung sämtlicher Besonderheiten der traditionellen muslimischen Lebensweise, während des ersten Sekretär des Bezirks, Georgi Tanev, ausführlich  den Stand und die künftigen Aufgaben der ideologischen Arbeit erörterte. Einen Monat später wurde eine ähnliche Sitzung auch in Chaskovo in Anwesenheit des Politbüromitgliedes Jordan Jotov abgehalten. Hier betonte der erste Bezirkssekretär Stojan Stojanov, daß der ”Prozeß der Wiedergeburt” bereits unmittelbar nach dem April-Plenum 1956 eingesetzt habe, und sprach sich für seine endgültige Vollendung einschließlich ”strenger Strafmaßnahmen” aus. Dieser Vortrag spiegelte eigentlich die schon im Februar 1974 von Aleksandăr Lilov formulierten und nun im Laufe des ”Prozesses der Wiedergeburt” aktualisierten Hauptaufgaben der ideologischen Tätigkeit der BKP wider. In der Folge wurde auf die Bevölkerung der Ostrhodopen stärkster Druck zur ”Formierung eines bulgarischen patriotischen sozialistischen Selbstbewußtseins” und zur Auslöschung aller Spuren und ”Überreste der Sklavenvergangenheit” ausgeübt. Man begann sogar mit der Beseitigung der osmanischen Grabsteine der alten türkischen Friedhöfe, und nur die Intervention kompetenter Fachleute verhinderte die ausnahmslose Vernichtung dieses wertvollen epigraphischen Quellenmaterials. Vielerorts aber machte man die türkischen Friedhöfe dem Erdboden gleich und setzte die verstorbenen Muslime auf „bulgarische Weise“ in den „einheitlichen Friedhöfen“ mit „einheitlichen Symbolen und bulgarischen Inschriften“ bei. Die muslimisch geprägten Feste und die traditionelle Bekleidung wurden verboten, die Beschneidung bestrafte man mit bis zu fünf Jahren Haft, und zwar wegen „Körperverletzung“. Es wurden auch die alten Namen vieler Orten und Siedlungen geändert.
          In den nächsten zwei Jahren wurde der antiislamische Druck ein wenig gelockert. Die kommunistischen Machthaber Bulgariens befleißigten sich gegenüber den konfessionellen Bedürfnissen der muslimischen Bevölkerung einer eingeschränkten Toleranz. Gleichzeitig aber wurde die totale ethnische Assimilation vorangetrieben. Aus den Buchhandlungen verschwanden Bücher in türkischer Sprache; die Staatssicherheitsorgane durchsuchten die Wohnungen türkischer Intellektueller und beschlagnahmten viele Bücher und Manuskripte. Nicht nur aus privaten Sammlungen, sondern auch aus öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken wurden Bücher über das Vorhandensein einer türkischen Minderheit in Bulgarien ausgesondert und versteckt. Sogar türkische Wörterbücher wurden auf Befehl „von oben“ in einen geschlossenen Fonds verbracht, zu dem der Zugang einer besonderen Erlaubnis bedurfte. Die Verlage begannen, bei Arbeiten über die türkische Problematik besonders „wachsam“ zu werden, die Redakteure handelten nach bestimmten Anweisungen. Sogar die Lexikographen wurden dazu aufgefordert, Lehnwörter, die zur Osmanenzeit in die bulgarische Sprache eingedrungen waren, nicht als „türkisch“ zu bezeichnen.
          Viele Wissenschaftler und Intellektueller aus den Reihen der türkischen Bevölkerung wurden unter ständige Beobachtung gestellt. Manchem von ihnen gelang es, in die Türkei zu emigrieren, wie z. B. der 1987 dem ”Parteihistoriker” der Minderheit, Jusein Memišev [Hüseyin Memişoğlu]. Andere verloren ihren Arbeitsplatz und wurden ins Gefängnis gebracht, einige starben, während die Mehrheit dazu gezwungen wurde, sich der neuen innenpolitischen Lage anzupassen und allerlei Deklarationen zur Rechtfertigung der Parteilinie zu unterschreiben. Schon zu Beginn der Kampagne der „Wiedergeburt“ waren die meisten unzufriedenen Türken festgenommen worden. Nach Schätzungen des Emigrantenvereinigung „Balk-Türkler Derniği“ belief sich die Gesamtanzahl der politischen Häftlinge unter den Bulgarientürken im Jahre 1986 auf 100.000 Menschen.
          Von Jänner bis Juni 1986 wurden etwa 100 Personen verhaftet, die mit der Untergrundorganisation „Uzun kış“ [Der Lange Winter] verbunden waren. Die meisten von ihnen wurden jedoch wieder freigelassen und verbannt, während nur neun Mitglieder der Organisation einschließlich ihres Führers Mehmed Juseinov vor Gericht gestellt wurden. Mitte Juni 1986 nahmen Sicherheitsorgane auch die Aktivisten der wenig später gegründeten „Türkischen Nationalbefreiungsbewegung in Bulgarien“ [Bulgaristanda Türk Milli Kuruluş Hareketi] fest. Von ihren etwa 200 Mitgliedern wurden 18 Personen vor Gericht gestellt. Sie wurden der ”unzulässigen Kontakte” mit türkischen diplomatischen Dienststellen, des Sammelns und der Verbreitung vertraulicher Informationen, des Vollzugs von Untergrund- und Anstiftungstätigkeiten, der Gründung oder Leitung türkischer terroristischer Gruppen usw. beschuldigt. Wegen der Beteiligung an der Organisierung und ”Unterweisung” solcher Gruppen wurden in der Folgezeit eine Reihe von Angestellten der türkischen Botschaft in Sofia sowie der türkischen Generalkonsulate in Plovdiv und Burgas aus dem Lande gewiesen. Ein Gerichtsverfahren gegen eine Terroristengruppe fand auch im Jahre 1988 im Bezirk von Razgrad (Nordost-Bulgarien) statt; Ermittlungen sollten eine Verbindung zu türkischen diplomatischen Vertretungen (diesmal in Belgrad und Budapest) fest.
          1989, im fünften Jahr seit Beginn der „Assimilationsbestrebungen“, mußte Bulgarien in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen des Wiener KSZE-Treffens einige Änderungen in der Gesetzgebung vornehmen und die Einschränkungen hinsichtlich der privaten Auslandsreisen beseitigen. Die türkischen Massenmedien kommentierten dies dahingehend, es sei das eigentliche Ziel Sofias, sich von den unbequemen Vertretern der Minderheit zu „befreien“, indem sie sie „legal“ abschieben. Große Verwirrung unter den Muslimen verursachten die Gerüchte, dass die ab 1. September 1989 in Kraft tretende neue Gesetzgebung nur vorläufig und selektiv anzuwenden sei. Die nun folgenden Protestkundgebungen und Hungerstreiks, in deren Folge es auch zu Brandanschlägen gegen Wohnungen türkischer Parteiaktivisten kam, waren von türkischen Untergrundorganisationen vorbereitet worden. Sie forderten zusammen mit ihren Anführern, die sich im Gefängnis befanden, die Wiederherstellung der türkischen Namen sowie die freie Auswanderung unter Berücksichtigung der „Zusammenführung getrennter Familien“. Die Unruhen, die am Vorabend des größten bulgarischen Feiertags, der den heiligen Kyrill und Method bzw. dem slawischen Schrifttum und der Kultur gewidmet ist, begannen, dauerten über eine Woche lang. In vielen Ortschaften kam es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und protestierenden Bürgern. Nach offiziellen Angaben kamen zwischen 20. Und 27. Mai 1989 insgesamt sieben Menschen ums Leben, weitere 28 wurden verletzt; aller Wahrscheinlichkeit aber sind die Zahlen viel zu niedrig gehalten.
          Am 29. Mai 1989 verbreitete Živkov über Funk und Fernsehen eine offizielle Erklärung, in der er die Türkei zur Öffnung ihrer Grenze für „jeden bulgarischen Muslim“, der auswandern will, aufforderte. Gleichzeitig appellierte er an die Einheit und Geschlossenheit der Bevölkerung beim Aufbau der „neuen Gesellschaft“.[63] Offensichtlich hatte sich die Staats- und Parteispitze ähnlich wie in den fünfziger Jahren dazu entschlossen, Personen, die sich nicht „umerziehen“ lassen wollten,  durch Ausweisung loszuwerden und den Assimilationsdruck auf die übrigen bulgarischen Türken zu verstärken. Dem entsprach auch der ZK-Beschluß ”Über die weitere Vereinheitlichung der bulgarischen sozialistischen Nation”, auf den sich die Autoren einiger Propagandamaterialien beriefen.Bereits unmittelbar nach den ersten Protesten aber wurden Dutzende von Türken nach Jugoslawien, Ungarn und Österreich deportiert. Es waren dies meist Mitglieder türkischer Untergrundorganisationen, Personen, die als Unruhestifter galten oder sich der Namensänderung widersetzt und ihre Strafen verbüßt hatten. Auf diese Weise sollen schon in den ersten Wochen etwa 10.000 Menschen vertrieben worden sein.
          Im Juni 1989 kam es in den Gebieten mit dichter türkischer Bevölkerung zu einer „Auswanderungseuphorie“. Schon in den ersten zehn Tagen stellten die Behörden etwa 150.000 Reisepässe aus, und fast 100.000 Türken verließen das Land. Über 400 Millionen Lewa wurden von den Sparkassen behoben, um Waren zu kaufen. Viele Geschäfte wurden geradezu leergekauft und der Produktionszyklus etlicher Betriebe war gestört, einige von ihnen mußten sogar die Arbeit einstellen, weil sich die Anzahl der Beschäftigten plötzlich drastisch reduziert hatte. Besonders betroffen war die Landwirtschaft, die damals in Ostbulgarien fast die Hälfte ihrer Arbeitskraft verlor. Obwohl die Anführer der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ [Dviženie za prava i svobodi, DPS] später öfter verkündeten, dass sie die neue Massenauswanderung initiiert hätten, so entsprach diese Entwicklung doch auch den Wünschen der kommunistischen Regierung. Hatte doch Živkov bereits am 18. Jänner 1989 auf einem Treffen mit den ersten Sekretären der Bezirkskomitees der BKP erklärt, es sei am besten, etwa 100.000–150.000 bulgarische Türken zur Aussiedlung zu bewegen, und auf der Sitzung des Politbüros am 16. Mai beharrte er darauf, den Türken die Reisepässe noch vor dem für alle Bürger festgesetzten Termin auszuhändigen. Schließlich wollte Živkov am 6. Juni „nicht weniger als 200.000“ Türken aussiedeln, damit sich Bulgarien „nicht in ein zweites Zypern“ verwandle. Die übrigen Politbüromitglieder stimmten seinen Worten natürlich zu. Bis zum 22. August, als die türkische Grenze einseitig geschlossen wurde, gelang es dann etwa 320.000 bulgarischen Türken, zu emigrieren.  Viele davon konnten sich jedoch in der neuen Heimat nicht zurecht finden und kehrten nach dem Sturz Živkovs wieder heim. Bis zum 10. September 1990 kamen auf diese Weise 154.937 bulgarische Türken, also etwa 42% der Auswanderer, ins Land zurück. In der Türkei blieben 214.902 Emigranten. So wurde die türkische Minderheit bis zum Ende des Jahres 1990 auf 632.682 Menschen reduziert, was ungefähr 75% ihrer Gesamtanzahl vor Beginn der „Großen Reise“ im Mai 1989 ausmachte.          Als im März 1985 Michail Gorbačev an die Macht kam, war man in Bulgarien gerade dabei, die türkischen Namen sogar unter Anwendung von Gewalt zu ändern. Der neue sowjetische Regierungschef forderte jedoch gemäß seinen Verständnis von Sozialismus nicht nur „Glasnost“, sondern auch die Achtung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, was der Idee der „sozialistischen Einheitsnation“ einschließlich ihrer bulgarischen Variante vollkommen widersprach. Und so beeinflußte wieder einmal der Wandel in der Sowjetunion die bulgarische Entwicklung. Todor Živkov musste von der politischen Bühne abtreten, weil er eine schon vergangene Epoche symbolisierte und, ähnlich wie zur Zeit Chruščevs, die „Perestrojka“ neue Menschen brauchte. Diese kamen am 10. November 1989 an die Macht, nachdem schon 320.000 bulgarische Bürger das Land verlassen hatten. Die Idee von der „sozialistischen Einheitsnation“ erwies sich als eine Chimäre. Ebenso scheiterte der Versuch, in der UdSSR und ihren Satelliten eine „sozial gerechtete Gesellschaft“ aufzubauen.

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